Am Wochenende findet der Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland in Chemnitz statt. Um ehrlich zu sein habe ich nicht lange darüber nachgedacht, ob ich hinfahren soll oder nicht. Wenn man für den Landesvorstand kandidiert hat und auch noch gewählt wurde (da nochmal Danke für die 90% :)) dann hat man sein Ticket ja quasi schon gelöst.
Statt es aber als Zwang zu sehen freue ich mich darauf. Ich sehe auf uns mindestens zwei wirklich wichtige Entscheidungen zukommen, die ich für die Weiterentwicklung der Partei als wesentlich erachte.
Visionäre Ziele oder Ziele mit Vision?
Die Erste Frage, die ich als längst überfällig betrachte, ist, ob wir primär „Visionäre Ziele“ oder „Ziele mit Vision“ haben wollen.
Im ersteren Fall sagen wir einfach, wir wollen irgendwann und irgendwie ein visionäres Ziel erreichen – wissen aber eigentlich nicht mal die ersten Schritte dahin. Es steht also die Fiktion im Vordergrund.
Im zweiten, dem „Ziel mit Vision“ haben wir schon ganz konkrete Vorstellungen und Vorschläge etwas zu ändern – und verfolgen damit (als Mittel) die schrittweise Umsetzung einer Vision. Hier steht also die Praxis/Vernunft im Vordergrund.
Am Beispiel BGE wird sich in Chemnitz zeigen, für welchen Weg sich Piraten entscheiden. Ich werde mich ins Zeug legen, dass wir uns für Praxis/Vernunft entscheiden, damit wir in der Politik glaubhaft bleiben können.
Frei sein oder Frei (gemacht) werden?
Eine noch wichtigere Frage ist, wie Piraten Freiheit für sich definieren. Was ist unsere politische Aufgabe hierbei?
- Ist jeder Mensch zuerst „einfach so“ frei (bzw. „von Natur aus„) und der Staat sorgt für die Aufrechterhaltung (Garantie) dieser Freiheit? Ist der Staat hierdurch „unter“ dem Menschen, als Diener der Gemeinschaft an den wir Rechte (bildlich nach unten) „abtreten“ ?
- Oder stellt der Staat die Freiheit der Menschen selbst per Gesetzt her? Ist also „über“ dem Menschen?
Daran wird sich ultimativ abzeichnen, wie wir staatliches Handeln legitimieren und wie weit wir gehen wollen und können. Ich sehe diese Entscheidung in den Anträgen zum Laizismus kommen, da diese Forderungen kein Recht mehr wollen, was über dem Staat steht.
Ein praktisches Beispiel wäre der sog. Whistleblowerschutz, der zum Großteil mit überstaatlichem Recht begründet wird. In einem laizistischem und damit rechtspositivitischem Staat wäre Whistleblowing nicht legitimierbar.
Jedwede Hinwendung zum positiven Recht wird unsere politische Ausrichtung hin zu irgendeinem *ismus führen. Durch die relativ lauten linken Strömungen bei den Piraten vermute ich, dass wir uns dann auf ein sozialistisches Programm zu bewegen werden.
Grundsätzliches und Grundsatz
Während ich die Frage um „visionäre Ziele“ vs. „Ziele mit Vision“ als grundsätzliche Frage sehe und sicherlich auch mit einem mir unliebsamen Ergebnis weiterhin Pirat bleibe, erachte ich die Frage der Freiheitsquelle als ultimative Grundsatzentscheidung.
Ob daraus für mich Konsequenzen erwachsen werden, kann ich nicht absehen. Immerhin wird diese Entscheidung die politische Entwicklung der Partei nachhaltig verändern und über die Zeit auch die Mehrheiten in der Partei für viele Dinge verschieben, da wir dann ein anderes Clientel bevorzugt anlocken.
Weitere Anträge, auf die ich mich freue
Natürlich freue ich mich nicht nur wegen diesen beiden Themen auf Chemnitz. Es gibt eine schier unüberschaubare Anzahl von Anträgen, von denen ich gern zumindest einige vom Parteitag als angenommen sehen möchte (unsortiert, ich lasse mich auch gern vom Gegenteil überzeugen…):
- Trennung des Programms in Kernprogramm und Erweitertes Programm
- Grundsätze: Politischer Standpunkt und Selbstverständnis
- Gewaltenteilung und demokratische Legitimation
- Urheberrechtspersönlichkeitsrecht
- Versammlungsfreiheit
- Vielfältige Beteiligung der Gesellschaft am Bildungsprozess für Kinder und Erwachsene
- Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns (niedrigster Betrag) oder der andere Mindestlohnantrag
- Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte
- Grundsätze piratiger Wirtschaftspolitik – (und die Anträge GP-070 bis GP-078 bis auf 076)
- Netzneutralität
- Rücknahme Hackerparagraph
- 70-Jahre Regel im UrhR für wissenschaftliche Werke auf 10 Jahre absenken
- …. und einige mehr 😉
Wir sehen und in Chemnitz! Ich bin ab Freitag ca. 21h da und übernachte im Hotel Mercure. Meine Kontaktdaten findet ihr hier.
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